Parlamentskorrespondenz Nr. 401 vom 12.04.2019

Verfassungsausschuss hat Beratungen über ORF-Volksbegehren abgeschlossen

Gebühren- und Steuerfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks halten sich in der EU die Waage

Wien (PK) – Der Verfassungsausschuss des Nationalrats hat heute die Beratungen über das Volksbegehren "ORF ohne Zwangsgebühren" abgeschlossen. Nach zwei durchgeführten Hearings werden die Abgeordneten dem Plenum einen Bericht ohne konkrete Empfehlungen vorlegen. Damit ist weiter offen, ob und inwieweit die Finanzierung des ORF künftig auf neue Beine gestellt wird. Der Nationalrat wird sich voraussichtlich am 24. April mit dem Bericht des Ausschusses befassen.

Beim heutigen Hearing, für das die Fraktionen RTR-Geschäftsführer Oliver Stribl, Rechtsanwältin Huberta Gheneff, den ehemaligen Informationschef des dänischen Rundfunks Lasse Jensen, Medienwissenschaftler Paul Clemens Murschetz und "Falter"-Chefredakteur Armin Thurnher nominiert hatten, ging es insbesondere um die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Sender in anderen europäischen Ländern, wobei Falter-Chefredakteur Thurnher heute verhindert war. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz plädierte einmal mehr für die Beibehaltung der GIS-Gebühren, man müsse aber die "Streaming-Lücke" schließen.

Wie der wissenschaftliche Dienst des Parlaments erhoben hat, haben derzeit 13 der 28 EU-Mitgliedstaaten ein gebührenfinanziertes Rundfunkmodell, während in 14 Staaten die Finanzierung überwiegend aus öffentlichen Mitteln erfolgt (insbesondere aus dem Staatsbudget, aus Subventionen oder aus Steuern). In Malta speist sich der öffentliche Rundfunk vorwiegend aus Werbeeinnahmen. Die Gebühreneinhebung erfolgt dabei nicht immer durch die öffentlichen Rundfunkeinrichtungen selbst, es wird auch auf Energieversorger bzw. die Post oder – im Falle Spaniens – sogar auf die Steuerbehörde zurückgegriffen. Feststellbar ist auch ein Trend, bei den Gebühren nicht mehr nur auf empfangfähige TV- und Radiogeräte abzustellen, sondern die Gebührenbasis zu verbreitern.

Stribl: Trend geht weg von linearem Fernsehen

Ähnliche Daten präsentierte Oliver Stribl, Geschäftsführer für den Medienbereich in der Rundfunk- und Telekom-Regulierungsgesellschaft RTR. Demnach wurde mit Stand September 2018 in 27 von 56 EBU-Ländern eine Rundfunkgebühr eingehoben, wobei die Gebührenpflicht zumeist noch vom benutzten Endgerät abhängig ist. Einige Länder wie Deutschland haben aber auf eine Haushaltsabgabe umgestellt. In sieben Ländern – inklusive Österreich – sind auch Zweithaushalte erfasst. Auch "Sozialtarife" und Gebührenbefreiungen gibt es in mehreren Staaten. Bei den Kosten der Einhebung befindet sich Österreich mit 1,5% am unteren Ende der Skala.

Was die Bewegtbildstudie 2018 deutlich zeigt, ist laut Stribl, dass das Fernsehgerät bei der Nutzung von Bewegtbild eine zunehmend geringere Rolle spielt. Während in der Gesamtbevölkerung 77% des Bewegtbildes via TV konsumiert werden, sind es bei jungen Menschen zwischen 14 und 29 nur noch 48%. Im Gegenzug sind Streaming und Online-Videos bei den Jungen deutlich beliebter. Als tägliche Gesamtnutzungsdauer von Bewegtbildquellen weist die Studie in der Gesamtbevölkerung 225 Minuten und bei jungen Menschen 212 Minuten aus. Widerlegt ist Stribl zufolge auch das Klischee, dass Jugendliche nicht an Nachrichten und Information interessiert seien.

Jensen: Steuerfinanzierung ohne Begleitmaßnahmen gefährdet Unabhängigkeit

Ein Land, das gerade dabei ist, die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von einem Gebühren- auf ein Steuermodell umzustellen, ist Dänemark. Gleichzeitig wurde eine Kürzung der Mittel für das Danmarks Radio (DR) um 20% beschlossen. Das stellt den werbefreien Sender vor enorme Herausforderungen, wie der arrivierte dänische Journalist und Medienmacher Lasse Jensen schilderte. Geplant ist, das Personal um mehr als 10% zu reduzieren und ab 2020 drei der sechs TV-Kanäle zu schließen. Auch drei von acht Radiosendern sollen eingestellt werden. Jensen geht außerdem davon aus, dass auch die dänische Filmbranche massiv betroffen ist, weil DR deutlich weniger Programm von privaten Produzenten zukaufen wird.

Der dänische Journalist hat aber auch ein grundsätzliches Problem mit der Reform. Durch die Umstellung von einer Gebühren- auf eine Steuerfinanzierung sieht er die Gefahr, dass der öffentlich-rechtliche Sender unter politischen Druck gerät und die journalistische Unabhängigkeit und Integrität verloren gehen. Wenn man schon ein Steuermodell bevorzuge, weil es leichter administrierbar und sozial verträglicher sei als eine gleich hohe Gebühr für alle, hätte man nur einen Blick nach Schweden oder Finnland werfen brauchen, meinte er. Dort habe man die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender beim Wechsel von der Gebühren- zur Steuerfinanzierung durch eine eigene – zweckgebundene – Medien-Abgabe und weitere Maßnahmen sichergestellt.

Befremdlich ist für Jensen auch, dass die Verhandlungen über die Reform in Dänemark federführend vom Finanzministerium und nicht vom Kulturministerium geführt wurden. Er wies zudem darauf hin, dass die jahrelange Akzeptanz der Rundfunkgebühren in der Bevölkerung ab jenem Zeitpunkt stark zurückgegangen ist, als man sie (2007) auf alle internetfähigen Endgeräte ausgeweitet hat.

Gheneff: ORF-Programmauftrag muss neu definiert werden

Huberta Gheneff, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Medienrecht und lange Zeit Mitglied des ORF-Stiftungsrats, hält eine Neudefinition des Programmauftrags des ORF für vorrangig. Man müsse deutlicher definieren, welche öffentlich-rechtlichen Inhalte in jedem einzelnen Programm gesendet werden müssen und in welcher Quantität - und zwar unabhängig von der Art der Finanzierung des ORF.

Was die Finanzierungsfrage betrifft, hält es Gheneff für erforderlich, über eine Abkehr vom Gebührenmodell nachzudenken. Der Gebührenansatz sei nicht mehr zeitgemäß, meinte sie. Wenn man via Smartphone eine ORF-Sendung verfolge, zahle man derzeit keine Gebühr, wenn man im Badezimmer "Kronehit" höre, aber schon. Klar ist für Gheneff dabei, dass eine Steuerfinanzierung nicht automatisch eine Einsparungsmaßnahme ist, die Art der Finanzierung sage nichts über die Höhe der Mittel aus. Für vorgeschoben hält sie auch die vielfach mit der Finanzierungsfrage verknüpfte Diskussion über die Unabhängigkeit des ORF.

Murschetz: ORF hat mehr Geld, als er für den öffentlich-rechtlichen Auftrag braucht

Auch der Medienwissenschaftler Paul Clemens Murschetz (Berlin University of Digital Sciences) hält die ORF-Gebühren in der derzeitigen Form für nicht mehr zeitgemäß. Er sieht verschiedene Alternativen, wobei alle vier möglichen Modelle – die Ausweitung der Gebühr auf weitere Empfangsgeräte, die Abschaffung der Gerätegebühr und deren Ersatz durch eine Haushaltsabgabe, eine eigene Rundfunksteuer wie in Schweden und in Finnland oder eine Direktfinanzierung aus dem Staatshaushalt – Vor- und Nachteile hätten. "Ein gerechtes Modell gibt es nicht." Zwar wäre eine direkte Budgetfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks effizienter und geräteunabhängig, sie würde aber die Abhängigkeit des Senders von der jährlichen Budgetdebatte erhöhen.

Faktum ist für Murschetz, dass die aktuellen GIS-Gebühren zu hoch sind. Österreich nehme nach Schweden und Norwegen den dritten Platz ein. Zudem habe der ORF viel mehr Geld zur Verfügung, als er für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags brauche. Beim ORF fehle es nicht an Geld, sondern an der passenden Verwendung der Gelder. Angesprochen auf die deutsche Haushaltsabgabe, hielt Murschetz fest, diese geben den Sendern zwar finanzielle Sicherheit, es könnte sich letztlich aber als großes Manko erweisen, dass sie sozial nicht gestaffelt ist.

Wrabetz: 95% der ÖsterreicherInnen nutzen ORF-Angebot

Für die Beibehaltung der ORF-Gebühren plädierte einmal mehr ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. Überall dort, wo die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf Budgetfinanzierung umgestellt wurde, sei das klar schief gegangen, meinte er. In allen Fällen hätte sich die politische Einflussnahme auf den Sender erhöht. Wobei zweckgebundene Steuern wie in Schweden oder Finnland für ihn ein anderes, alternatives Modell sind.

Notwendig ist es nach Meinung von Wrabetz jedenfalls, in Österreich die Streaming-Lücke zu schließen, wobei er sich etwa eine Haushaltsabgabe vorstellen kann. Zur Frage der sozialen Treffsicherheit merkte er an, dass in Österreich 300.000 Haushalte von der ORF-Gebühr befreit sind und es den Abgeordneten frei stehe, weitere soziale Komponenten vorzusehen.

Generell bekräftigte Wrabetz, dass die ÖsterreicherInnen einen starken und politisch unabhängigen ORF wünschen. Das ORF-Angebot werde auch gut angenommen. 95% der ÖsterreicherInnen und 92% der Unter-Dreißigjährigen nutzten den ORF, Radio und online-Angebot inbegriffen.

FPÖ hält neues Finanzierungsmodell für notwendig

Von Seiten der Abgeordneten hob Hans-Jörg Jenewein (FPÖ) hervor, dass der Trend in Europa von einer Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weggehe. Das hat seiner Ansicht nach auch das Hearing gezeigt. Eine Diskussion über die ORF-Gebühr könne also nicht als Angriff auf den ORF gewertet werden. Schon allein wegen des Umstands, dass lineares TV immer weiter in den Hintergrund gedrängt wird und Streaming-Dienste zunehmen, brauche es ein neues Finanzierungsmodell. Die "eierlegende Wollmilchsau" gebe es dabei offensichtlich nicht, sagte Jenewein, die Politik müsse aber das beste Modell suchen, bei dem nicht alle gleich viel zahlen. Mehr Spielraum für den ORF wünscht sich Jenewein bei den online-Angeboten.

Opposition will Unabhängigkeit des ORF sicherstellen

Sowohl Thomas Drozda (SPÖ) als auch Alfred Noll (JETZT) kritisierten die Fokussierung der Debatte auf die Finanzierungsfrage. Zentrales Ziel müsse es sein, die Unabhängigkeit des ORF sicherzustellen und das Finanzierungsmodell danach auszurichten, sagte Drozda. Der BBC sei es etwa gelungen, die Streaming-Lücke im Rahmen des Gebührenmodells zu schließen.

Für JETZT-Abgeordneten Noll läuft die Debatte jedenfalls falsch. Zunächst müsse man darüber diskutieren, wozu es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauche, was dieser können solle und wo dessen Grenzen und Möglichkeiten sind. Erst danach sei es sinnvoll, über die Finanzierung zu reden. Die Forderung, dass nur jene ORF-Gebühren zahlen sollen, die das ORF-Angebot tatsächlich nutzen, ist für Noll allerdings abwegig, schließlich komme auch niemand auf die Idee zu sagen, dass nur jene für das Verteidigungsbudget zahlen müssen, die das Heer für notwendig halten, oder nur jene für das Gesundheitssystem, die Krankenhäuser oder Ärzte brauchen. Es handle sich in allen Fällen um öffentliche Aufgaben.

Für ein Finanzierungsmodell, das die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestmöglich sichert, plädierte indirekt auch Nikolaus Scherak (NEOS).

Dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk staatlich finanziert wird, hat Jensen zufolge jedenfalls in vielerlei Hinsicht seine Berechtigung. Schließlich würden öffentlich-rechtliche Sender zum Schutz und zur Förderung nationaler Kultur beitragen und eine breite Information über das politische Geschehen sicherstellen. Studien belegten außerdem, dass in Ländern mit einem starken öffentlichen Rundfunk die demokratische Debatte gestärkt wird.

Gehring: "Zwangsgebühren" müssen abgeschafft werden

Zum Abschluss der Diskussion erinnerte Initiator Rudolf Gehring noch einmal an die Forderung des von 320.264 Personen unterstützten Volksbegehrens (435 d.B. ), die ORF-"Zwangsgebühren" abzuschaffen. Nur wer das ORF-Programm tatsächlich nutzt, soll ein Programmentgelt zahlen müssen, fordern er und seine MitstreiterInnen (siehe dazu Parlamentskorrespondenz Nr. 10/2019). Zudem sollen alle derzeit mit dem Programmentgelt gemeinsam eingehobenen Bundes- und Landesabgaben gestrichen und die parteipolitische Einflussnahme auf die Organe des ORF beseitigt werden.

Gehring ist überzeugt, dass die meisten SeherInnen angesichts des breiten ORF-Angebots das Programmentgelt freiwillig zahlen würden. Gleichzeitig würde man mit einer Abschaffung der mit dem Entgelt eingehobenen Abgaben die SteuerzahlerInnen entlasten. Längerfristig plädierte Gehring für eine Finanzierung des ORF aus privaten Mitteln. Das würde dessen Unabhängigkeit größtmöglich sichern. "Staatsrundfunk" sei keine Zukunftslösung, ist er sich sicher. An der Sitzung des Ausschusses nahm auch der stellvertretende Bevollmächtigte des Volksbegehrens Emanuel Dragomir teil (Schluss) gs